Offener Brief: Die Wahrheit hinter den Billig-Fahrpreisen
Als Reaktion auf eine große Werbeaktion des Fahrdienstes Bolt in Münchner Tageszeitungen und auf Plakatwänden, mit denen Stimmumg gegen die geplanten Mindestbeförderungsentgelte für Mietwagen gemacht wird, hat Taxi Times einen Offenen Brief an die Bevölkerung verfasst:
Liebe Münchnerinnen und Münchner,
als Herausgeber der Fachzeitschrift „Taxi Times“ wende ich mich heute im Namen unserer Leser direkt an Sie. Sie haben sicherlich die Diskussion der letzten Tage mitbekommen, dass die Stadt Mindesttarife für bestimmte Fahrdienste einführen will. Damit wären diese Fahrdienste gezwungen, Fahrten nicht mehr zu Dumpingpreisen, sondern zu wirtschaftlich tragbaren Konditionen anzubieten.
Vielleicht haben Sie auch schon die ganzseitigen Werbeanzeigen in Ihrer Tageszeitung oder die Plakate an den S-Bahnhöfen gesehen. Hinter diesen Kampagnen stecken genau jene Fahrdienste, die derzeit billige Einzelfahrten zu Dumpingpreisen anbieten. Wenn nun die Stadt einen Mindestpreis festlegt, können Sie als Münchner Bürger nicht mehr so billig fahren, lautet die Werbebotschaft.
Liebe Münchnerinnen und Münchner, liebe Gäste dieser Stadt, ich bitte Sie: Lassen Sie sich von diesen Fahrdiensten nicht hinters Licht führen. Das ist Bauernfängerei.
Die Wahrheit sieht anders aus:
Diese Fahrdienste, hinter denen große Konzerne aus den USA und aus Estland stecken, können nur mit Rechtsverstößen, Sozialbetrug und Hungerlöhnen ihre Dumpingpreise anbieten. Den Versuch der Stadt, das zu unterbinden, stellen die Konzerne jetzt als unfair dar und wollen Sie als Kundschaft aufhetzen.
Lassen Sie das bitte nicht mit sich machen!
Warum sind Mindestpreise für Mietwagenfahrten nicht unfair, sondern fair und in einem Rechtsstaat notwendig?
Stellen Sie sich vor, Ihr Supermarkt bietet einen Liter Milch für 40 Cent an. Das wird Ihnen aus gutem Grund komisch vorkommen, weil man einen Liter Milch für diesen Preis nicht legal anbieten kann.
Die Rechnung ist leicht nachvollziehbar: Der Landwirt, der die Milch erzeugt, muss Personal, beheizte Stallfläche, Melkmaschinen, Futter, Tierarzt und vieles mehr bezahlen, die Milch muss behandelt, abgefüllt, kontrolliert und zum Supermarkt transportiert werden. Wird sie für 40 Cent verkauft, muss man davon ausgehen, dass der Landwirt dem Personal keinen Mindestlohn bezahlt, seine Leute nicht regulär krankenversichert, die Kühe einpfercht und ihnen Dreck zu fressen gibt und dazu noch Steuern hinterzieht. Ansonsten wäre er in kürzester Zeit pleite. Die Supermarktkette wird trotz dieses Dumpingpreises sehr wohl ihren Reibach machen. Sie hat zwar eine geringere Gewinnmarge, hofft aber darauf, deutlich mehr Milch als die ehrlichen Supermärkte zu verkaufen.
Ganz ähnlich ist es bei der Personenbeförderung im Pkw, also Taxi und Mietwagen (mit Fahrer). Auch Taxi- und Mietwagenunternehmer haben typische Kosten (Löhne, Sozialversicherung, Fahrzeuganschaffung, Kraftstoff bzw. Strom, Kfz-Versicherung, Kfz-Steuer, Wartung, Reparaturen, TÜV, Firmenmiete, Betriebskosten, Heizung, Mobiltelefon für jedes Fahrzeug …).
Auch hier können Sie sicher sein: Aus der Münchner Innenstadt zum Flughafen zu fahren und dafür nur 40 Euro zu berechnen, kann nicht legal funktionieren. Die Fahrt dauert bei normalem Verkehr 45 bis 60 Minuten. Danach kann ein Taxifahrer sich am Taxistand hinten anstellen, um auf die nächste Tour zu warten. Er würde am Ende des Tages auf einen durchschnittlichen Umsatz von vielleicht 20 Euro pro Stunde kommen, was völlig unwirtschaftlich wäre.
Auch jeder Mietwagenunternehmer, der seine Aufträge von den Billig-Fahrdiensten bekommt, würde – wenn er sich auch nur halbwegs an Recht und Gesetz hielte – mit solchen Dumpingpreisen ein eklatantes Minusgeschäft machen. Zudem zahlt er eine höhere Mehrwertsteuer als ein Taxiunternehmer, und der Mietwagenfahrer ist verpflichtet, nach jedem Auftrag zum Betriebssitz zurückzufahren. Diese Rückkehrpflicht wurde vom Gesetzgeber eingeführt, damit Mietwagen dem Taxigewerbe nicht auf unlautere Weise das Geschäft wegnehmen können, denn Taxis sind als öffentliches Verkehrsmittel – anders als Mietwagen – an den staatlich festgelegten Tarif gebunden und haben – wie auch Bus und Bahn – eine Beförderungspflicht. Taxis sind Teil der Daseinsvorsorge. Sie haben auch bestimmte Rechte, z. B. in zweiter Reihe halten oder im öffentlichen Raum auf Kunden warten. Das dürfen Mietwagen beides nicht, denn sie sind kein Teil der Daseinsvorsorge. Falls Sie von der Rückkehrpflicht noch nichts wussten: Das liegt daran, dass kein Fahrer solcher Billig-Mietwagen sie einhält, denn dieser Teil der Mietwagenbranche lebt tatsächlich von Rechtsverstößen. Ansonsten wären nämlich auch sie in kürzester Zeit pleite. Man spricht von illegalem taxigleichen Verkehr durch Mietwagen.
Da im Taxi und im Mietwagen nicht wie in der S-Bahn viele weitere Personen mitfahren, sind die Beförderungskosten pro Person höher als im Bus. Der Luxus, dass man nicht nur bis vor die Tür gebracht wird, sondern sich auch darauf verlassen kann, dass niemand zusteigt, der vielleicht unangenehm riecht, neben einem sein Essen verspeist oder einen belästigt, hat einen gewissen Preis.
Sie wissen sicher, dass man mit Taxifahren dennoch nicht reich wird. Wenn ein Mietwagen aber regulär noch weniger Umsatz bringt als ein Taxi, dann folgt daraus logisch: Eine Fahrt zu den Preisen dieser Fahrdienste anzubieten, kann nur mit einer Reihe von Rechtsbrüchen funktionieren. Der Unternehmer wird vielleicht nicht nur Umsätze schönrechnen, Steuern hinterziehen und Sozialabgaben prellen müssen. Er muss wahrscheinlich auch an der Wartung und Reparatur der Fahrzeuge sparen:
Bremsbeläge erneuern? Erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Anschnallgurte erneuern? Hauptsache, sie sehen funktionstüchtig aus. Fahrer schulen und im Kundenumgang unterweisen? Zu aufwändig, Autoschlüssel in die Hand drücken muss reichen. Ortskenntnis? Erledigt das Navi, zur Not muss der Fahrgast das Fahrziel eingeben, falls der Fahrer kein Deutsch kann. Dass der Fahrer die halbe Fahrt nur auf sein Navi blicken muss und ein hohes Unfallrisiko darstellt … Ja mei … Fahrer auskömmlich entlohnen? Muss ja nicht sein, er hat doch Zeit und kann 14 Stunden am Tag fahren. Dass er dann wahrscheinlich oft völlig übermüdet fahren muss … wird schon gut gehen, machen ja die meisten so. Am Ende des Monats hat er sein Auskommen schon zusammen, denn er kann ja beim Arbeitsamt aufstocken.
Liebe Münchnerinnen und Münchner, möchten Sie das alles, was wir hier etwas überspitzt aufgezählt haben, in Kauf nehmen? Möchten Sie selbst oder Ihre Verwandten und liebgewonnenen Freunde in einem Mietwagen fahren, der derartige Risiken birgt, weil es sich für den Unternehmer überhaupt nicht rechnen würde, eine halbwegs zuverlässige Dienstleistung mit Qualitätsstandard anzubieten?
Der Stadt ist dieses Risiko bewusst. Die Stadt München hat dieses Risiko erkannt. Deshalb will sie mit den Mindesttarifen nicht etwa in erster Linie das Taxi schützen. Nein, die Stadt will Sie als Bürger oder Gast schützen!
Der Staat schützt uns alle per Gesetz vor minderwertigen und gefährlichen Billig-Elektrogeräten, vor minderwertigen Billig-Lebensmitteln voller Schadstoffe und vor unseriösen und riskanten Billig-Online-Geschäften. Ebenso muss er uns auch vor unseriösen Billig-Fahrdiensten mit mangelhaft versicherten Fahrern und Autos schützen.
Wir finden es deshalb richtig, dass die Stadt Verantwortung übernimmt und Dumpingpreise bei Mietwagenfahrten unterbindet. Eine Beförderung im Pkw zum Dumpingpreis ist typisch für korrupte Entwicklungsländer, gehört aber nicht in einen hochentwickelten Rechtsstaat mit funktionierendem Sozialversicherungssystem.
Da die Fahrdienste wissen, dass ihr Geschäft nicht legal funktioniert, und Angst vor dem Rechtsstaat haben, versuchen sie jetzt mit großem Aufwand, die Verbraucher gegen den Rechtsstaat aufzuhetzen, indem sie faire Preise einfach als „unfair“ bezeichnen.
Auch, wenn es Ihnen nicht bewusst ist: Mit jeder bei einem Billig-Fahrdienst gebuchten Fahrt liegen Sie der Gemeinschaft auf der Tasche. Wir können verstehen, dass Sie lieber günstigere Preise bezahlen und sich keine Gedanken machen möchten, wie diese zustande kommen. Aber nicht nur, dass die Preise ohne Rechtsverstöße nicht möglich sind: Wenn es den Fahrdiensten gelingen würde, das Taxigewerbe vom Markt zu verdrängen, würden Sie sich die Fahrpreise, die dann plötzlich verlangt würden, erst recht nicht leisten können und wollen. Das ist in den USA bereits in vielen großen Städten zu sehen. Dort hat man keine Garantie mehr, überhaupt abgeholt zu werden, weil Mietwagenfahrern, die eh schon viel zu wenig verdienen, viele Fahrten zu unlukrativ wären. Dort funktioniert die Daseinsvorsorge also nicht mehr, und das bedeutet: Dort finden die Menschen kein Taxi mehr, das sie nach einer schönen Party sicher nach Hause bringt (weil es kaum noch Taxis gibt). Dort können die Menschen aber auch keinen Mietwagen ihrer Fahrdienst-App mehr bestellen, weil sie sich deren Mondpreise nicht mehr leisten können. So erreichen die Fahrer dort trotz allem kein akzeptables Auskommen. Verloren haben dort alle, Fahrgäste, Fahrer und die Daseinsvorsorge. Nur die Milliardenkonzerne werden immer reicher. Wir haben die Chance und die Pflicht, eine solche Entwicklung bei uns zu verhindern, so lange es noch nicht zu spät ist.
Mindestpreise für Mietwagenfahrten sind nicht unfair, sondern ein sinnvoller, fairer und notwendiger Schritt, der den Fortbestand der mobilen Daseinsvorsorge, die wir gewohnt sind, sichert. „Geiz ist geil“ führt in Richtung Entwicklungsland.
Ehrliche Preise müssen die Zukunft sein – und die kann man dann auch gleich im Taxi bezahlen, da hat man mit großer Wahrscheinlichkeit eine höhere Qualität als in den Mietwagen der Billig-Fahrdienste.
Herzlichst und im Namen der Redaktion und unserer Leserinnen und Leser
Jürgen Hartmann, Herausgeber der Fachzeitschrift Taxi Times
P.S.: Wenn die Stadt tatsächlich Mindestpreise für Mietwagen festlegt, steht es Ihnen natürlich völlig frei, dann auch weiterhin diese Fahrdienste zu nutzen (sie kosten dann in etwa das Gleiche wie Taxis). Egal, ob Sie dann künftig per App ein Taxi oder weiterhin einen Fahrdienst bestellen: Sie können dann bei jeder Fahrt damit rechnen, dass der Fahrer oder die Fahrerin von diesen Fahrten leben kann.
Quelle: Taxi Times
Originalmeldung: https://taxi-times.com/offener-brief-die-wahrheit-hinter-den-billig-fahrpreisen/
Autor: Axel Rühle
Beitragsfoto: Axel Rühle