MÜNCHNER TAXLER KÄMPFT UM SCHMERZENSGELD

Mehr als anderthalb Jahre, nachdem er von einem Polizeiwagen erfasst wurde, ist Başar Alici noch weit von der Arbeitsfähigkeit entfernt. Nach über 20 Operationen kämpft er vor Gericht um Schmerzensgeld.

Es war ein Moment, der das Leben einer sechsköpfigen Familie auf unabsehbare Zeit verändert hat, als der Taxifahrer aus München einen schwerverletzten jungen Mann retten wollte und versuchte, einen zufällig vorbeikommenden Polizeiwagen anzuhalten. Tragischerweise waren die Beamten im Notfalleinsatz und fuhren die Ludwigstraße in der Münchner Maxvorstadt mit 97 km/h entlang, wie ein Gutachten inzwischen ergeben hat – viel zu schnell, um dem im Dunkeln winkenden Mann auszuweichen. Mit 58 km/h wäre ein Ausweichen noch möglich gewesen, so der Gutachter. Das Fahrzeug erfasste Alici mit großer Wucht. Er wurde meterweit durch die Luft katapultiert.

Taxifahrer Başar Alici hatte Glück im Unglück und überlebte den Unfall in der Silvesternacht 2021. Doch es begann ein langer Leidensweg für den vierfachen Familienvater und für seine Frau und die Kinder. Wie der Münchner „Merkur“ berichtet, musste Alici bereits mehr als 20 Operationen über sich ergehen lassen, und es werden noch weitere nötig sein. „Meine vier Kinder haben mich noch. Das ist das Wichtigste“, zitiert das Online-Portal den – gezwungenermaßen geduldigen – Krankenhauspatienten, der inzwischen zumindest aus dem Rollstuhl aufstehen und mit Gehhilfen wieder aufrecht gehen kann. Doch ob oder wann er wieder arbeitsfähig sein wird, ist unklar.

Auch für den Polizisten, der am Steuer des Wagens saß und den Unfall nicht mehr verhindern konnte, ist das Erlebnis mit seinen Folgen tragisch. Ein Verdacht, er könnte fahrlässig oder leichtsinnig gehandelt haben, steht offenbar nicht im Raum. Dass ihm das Geschehene leidtut, daran zweifelt niemand. Er und Alici haben sich nach einer Gerichtsverhandlung umarmt. „Wir wollten beide nur helfen“, sind sie sich einig. Auch wenn Alici, der nach einem Jahr und achteinhalb Monaten noch immer mit den Folgen seiner schweren Verletzungen kämpft, das weitaus schwerere Schicksal hat, muss auch den Polizeibeamten das Gefühl quälen, nichts tun zu können, um das Unglück, das er ungewollt mit verursacht hat, mildern oder gutmachen zu können.

Obwohl beide Männer somit auf eine Art Leidensgenossen sind, sind sie in dem Zivilprozess juristisch Gegner, denn Başar Alici kann seit dem Unfall seine Familie nicht mehr ernähren und ist auf Schadenersatz angewiesen. In der rechtlichen Verantwortung, so sie denn festgestellt wird, steht der Freistaat Bayern, dem der Polizist dient.

Am Landgericht München, wo nun über das Schmerzensgeld verhandelt wird, geht es um die Haftungsfrage. Für Nicht-Juristen mag es zweitrangig sein, inwieweit es gerechtfertigt war, mit dem Telefon am Ohr auf die Fahrbahn zu treten, als der Polizeiwagen mit Blaulicht heranraste, und ob Başar Alici beim Unfall zwischen dem ersten und zweiten Fahrstreifen oder vielleicht auf dem ersten Fahrstreifen des Gegenverkehrs stand. Durch die unterschiedlichen Erinnerungen der Zeugen lässt sich das kaum noch nachvollziehen.

Für Juristen sind aber pragmatisch die Fragen zu klären, ob der Unfall vorhersehbar oder vermeidbar war, welcher der Männer zu welchen Teilen dazu beigetragen hat, ob der Polizist trotz Einsatz langsamer hätte fahren müssen, und daraus folgend, welche Verantwortung die Polizei trägt. Alici fordert mit Unterstützung seines Anwalts 150.000 Euro vom Freistaat. Laut dem Anwalt könnte die Forderung noch auf 500.000 Euro anwachsen. Bisher seien ihm aber lediglich 20.000 Euro angeboten worden, wovon noch die Auto-Reparatur in Höhe von 13.000 Euro abging, kritisiert der Anwalt.

Die Richterin will dem Taxifahrer und dem Polizeibeamten bzw. seiner Behörde ein schriftliches Vergleichsangebot unterbreiten.

Quelle: Taxi Times

Originalmeldung: Münchner Taxler kämpft um Schmerzensgeld (taxi-times.com)

Autor: Axel Rühle

Beitragsfoto: Başar Alici 2022 im Krankenhaus; Foto: privat