„Dieter Reiter, Sie werden von uns hören!“
Der kurzfristige Rückzug der Münchner SPD von den Plänen zur Einführung eines Mindestbeförderungsentgelts hat bei den Taxiverbänden empörte und teils hochemotionale Reaktionen hervorgerufen. Auch der düpierte Koalitionspartner findet deutliche Worte.
In ihren heute veröffentlichten Pressemeldungen machen die Verbände auch klar, wer der wahre Schuldige dieses beispiellosen Wortbruchs ist: Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter, der spontan zum „Uber-Bürgermeister“ umgetauft wurde.
Sowohl der Bundesverband Taxi und Mietwagen (BVTM) als auch der Taxi- und Mietwagenverband (TMV) haben sich zu der fragwürdigen Rolle rückwärts der SPD geäußert. Auch die Stadtratsfraktion der Münchner Grünen hat ein öffentliches Statement abgegeben.
Der Taxiverband München (TVM) hatte mit den beiden Taxizentralen Taxi München eG und mit IsarFunk eine Spontandemo organsiert: „Nach der Entscheidung gegen Mindestpreise für Mietwagen demonstriert das Münchner Taxigewerbe spontan am Rathaus. „Ohne Mindestpreise für alle Fahrdienste hat das Taxigewerbe keine Chance. Wir werden erleben, wie Qualität und Zuverlässigkeit abnehmen und das Uber-Prinzip von Ausbeutung und Sozialdumping ungebremst um sich greifen wird“, sagte Gregor Beiner vom Taxiverband München. Er fügte hinzu: „Heute müssen wir feststellen: Das ist politisch gewollt. Genau das haben Dieter Reiter und seine SPD-Fraktion beschlossen. Der Ober-Bürgermeister entpuppt sich als Uber-Bürgermeister!“
Der Bundesverband Taxi BVTM erläutert in seiner Pressemeldung zunächst die Hintergründe. „Am heutigen Dienstag sollte der Kreisverwaltungsausschuss die entsprechende Vorlage zur Einführung von Mindestbeförderungsentgelten beschließen, für den Mittwoch war der finale Beschluss durch den Stadtrat geplant. Auf Druck der SPD-Fraktion findet dies nun nicht statt. Stattdessen soll es einzelne Vereinbarungen mit Mietwagenanbietern geben.“
Was man von solchen taktischen Spielchen hält, macht abermals Gregor Beiner deutlich, der neben seiner Funktion im TVM auch im BVTM im Vorstand sitzt: „Wir sind Zeugen geworden von einem besonders schmutzigen politischen Manöver. Mit der Änderung in letzter Minute haben die Sozialdemokraten im Stadtrat den gesamten Antrag torpediert. Damit fallen Dieter Reiter und seine Fraktion nicht nur den Taxifahrern in den Rücken, sondern auch der eigenen Verwaltung. Das ist schon ein spektakuläres, aber auch sehr trauriges Schauspiel: Eine Stadt kastriert sich selbst“, konstatiert Beiner.
Ohne Mindestpreise für alle Fahrdienste wird das Taxigewerbe keine Chance haben. Qualität und Zuverlässigkeit werden abnehmen und das Uber-Prinzip von Ausbeutung und Sozialdumping wird ungebremst um sich greifen. Dabei hätte die Stadt nach dem Personenbeförderungsgesetz die Chance gehabt, selbst für faire Mobilität zu sorgen. Beiner: „Für das Taxigewerbe gilt: Wir werden weiter kämpfen. Vor wenigen Wochen haben wir bundesweit Proteste mobilisiert – nur nicht im München, um hier den lösungsorientierten Dialog nicht zu stören. Die Zeit der Zurückhaltung ist nun vorbei. Wir kämpfen um unsere Existenz. Dieter Reiter, Sie werden von uns hören!“
Der als Dachverband deutschlandweit tätige Taxi- und Mietwagenverband TMV lässt seinen Präsidenten Thomas Kroker zu Wort kommen. Kroker ist wie Beiner ebenfalls Münchner und als Vorstand der Taxi München eG tätig. Er zeigt sich von der Stadtpolitik „maximal enttäuscht“ und fordert die rote Karte für das Rathaus und für Uber & Co: „Die politische Kehrtwende in München bei der Einführung von fairen Mindestbeförderungsentgelten für Mietwagen ist ein massiver Vertrauensbruch des Oberbürgermeisters und des Stadtrates gegenüber dem ehrlichen Taxi- und Mietwagengewerbe in der bayerischen Landeshauptstadt. Wir sind entsetzt darüber, dass wir von der Stadtpolitik so hintergangen, hinters Licht geführt und verraten werden.“
Kroker erläutert, was ihn und die von ihm vertretenen Münchner Kollegen so auf die Palme bringt: „Auf den letzten Metern am Gewerbe vorbei im Hinterzimmer einen Pseudo-Prüfauftrag erteilen und somit eine Entscheidung auf den St. Nimmerleinstag vertagen zu wollen, obwohl in der Verwaltung alles vorbereitet ist, kommt einem Offenbarungseid gleich. Es ist vollkommen unverantwortlich, dass die Stadt so vor Uber & Co einknickt, den uns zugesagten dringend notwendigen Schutz unseres Gewerbes vor ruinösem Preisdumping aussetzt und das ehrliche und anständige Taxi- und Mietwagengewerbe in München im Regen stehen lässt. Aber das lassen wir uns nicht gefallen und werden nicht nur heute, sondern ab sofort permanent demonstrieren. Unser Vertrauen in die Stadtpolitik ist auf dem Nullpunkt!
Krokers Appel an die Politiker für die morgige Vollversammlung: „Noch hat der Stadtrat die Chance, richtig zu entscheiden.“
Von Free Now, die in München zwar imme rnoch Mietwagenfahrten anbieten, sich aber seit einiger Zeit wieder ganz zum Taxigewerbe bekennen, kommen ebenfalls markige Worte: „München hatte die Chance, faire Regeln für alle Mobilitätsanbieter zu schaffen – stattdessen lässt man ein ganzes Gewerbe im Stich. Die Stadt hat eine einmalige Gelegenheit verpasst, ein Zeichen zu setzen für Verlässlichkeit, soziale Verantwortung und modernen Wettbewerb. Diese Entscheidung ist ein Rückschritt – nicht nur für das Taxigewerbe, sondern für alle, die auf klare Regeln und soziale Standards setzen.
All das sagt Free Now-Präsident Alexander Mönch, für den auch nicht nachvollziehbar ist, „warum ausgerechnet eine Stadt wie München auf Mindestpreise verzichtet – trotz hoher Lebenshaltungskosten und bewährter Taxi-Infrastruktur. Ohne faire Preisuntergrenzen stirbt das Taxigewerbe nicht langsam, sondern systematisch – verdrängt von Anbietern, die unterhalb der Wirtschaftlichkeit operieren. Was wir im Mietwagenmarkt erleben, ist kein Wettbewerb – es ist ein strukturelles Ungleichgewicht, das Regeln unterläuft und Existenzen gefährdet.
„Plattformen tragen Verantwortung – auch für die Menschen, die für sie fahren. Wer dauerhaft unter dem Kostenniveau vermittelt, handelt nicht zukunftsfähig. Viele Mietwagenfahrerinnen und -fahrer arbeiten unter prekären Bedingungen – oft trotz voller Arbeitswochen ohne sicheres Einkommen.
Im Hinblick auf die gekaufte Uber-Demo von letzter Woche wird Mönch sogar sarkastisch: „Dass Fahrer für Demonstrationen bezahlt werden müssen, um politischen Rückhalt zu simulieren, ist ein Symptom für ein System, das ökonomisch und sozial aus dem Gleichgewicht geraten ist. Soziale Mobilität heißt auch: Diejenigen, die sie ermöglichen, müssen davon leben können – und nicht von Prämien oder Nebenjobs abhängig sein. Wenn das Einhalten von Regeln zum Nachteil wird, verliert der Markt seine Glaubwürdigkeit – und die Politik ihre Gestaltungsautorität. München hätte ein bundesweites Signal setzen können – stattdessen sendet die Stadt ein Zeichen der politischen Mutlosigkeit.“
Kurz nach 11.30 Uhr, als klar war, dass der Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD und der CSU angenommen wird, meldete sich auch der eigentliche Koalitionspartner der SPD, Die Münchner Grünen, zu Wort: Eine faire Bezahlung für Taxifahrende werde nun verhindert, beklagen sich „Die Grünen“, die den ursprünglichen Antrag für ein MBE gemeinsam mit der SPD eingebracht hatten. „Eine Mehrheit im Stadtrat hat heute im Kreisverwaltungsausschuss die Einführung eines Münchner Mindestpreises für die Mietwagenbranche verhindert. Damit können Uber und Co. die Taxitarife weiterhin künstlich unterbieten. Lohndumping und Verluste in Millionenhöhe für die öffentliche Hand sind die Folge. Die Fraktion – Die Grünen/Rosa Liste/Volt – kritisiert diese Entscheidung scharf. Der Stadtratsbeschluss fordert stattdessen das Kreisverwaltungsreferat auf, mit Uber und Co. in Verhandlungen über ihre Preisgestaltung zu treten. Dabei war der Mindestpreis zuvor lange und mit breiter Beteiligung der Taxibranche und der IHK besprochen worden. Das Ergebnis dieses monatelangen Prozesses wurde nun in einer Hauruck-Aktion gekippt. Vermutlich weil die Mietwagenbranche, allen voran der US-amerikanische Konzern Uber, in den vergangenen Wochen eine groß angelegte Werbe- und Lobbykampagne gegen den Mindestpreis gefahren hat.“
Weiter heißt es in der Pressemeldung: „Die Grünen/Rosa Liste/Volt bezweifeln, dass Verhandlungen über faire Fahrtarife mit der Mietwagenbrache zielführend sind. Denn beim Thema angemessene Bezahlung der Fahrer*innen hat sie sich leider bislang weitgehend nicht als verlässlich erwiesen. Es ist nicht sinnvoll, mit einer Branche zu verhandeln, die ihren Angestellten keinen angemessenen Lohn garantiert. Auch Verstöße gegen das Personenbeförderungsgesetz sind nach wie vor an der Tagesordnung. Wer in München in ein Taxi steigt, zahlt nach festgelegten Tarifen. Zudem gilt für Taxis auf ihrem gesetzlich festgelegten Beförderungsgebiet eine grundsätzliche Pflicht, jeden Fahrgast mitzunehmen, selbst auf kurzen Strecken. Bei Mietwagenanbietern, zu denen auch Uber zählt, ist dies nicht der Fall. Hier wird der Fahrpreis entsprechend der Nachfrage festgelegt.
Um das ökonomisch überhaupt darstellen zu können, kommt es in der Mietwagenbranche immer wieder zu Verstößen gegen sozial- und arbeitsrechtliche Standards wie den Mindestlohn. Das zeigen Betriebsprüfungen des Kreisverwaltungsreferats und des Zolls. Bei fast allen geprüften Fällen wurden Verstöße gegen den Mindestlohn festgestellt. Für Fahrer*innen bedeutet das, dass sie von ihrem Lohn nicht leben können. Darüber hinaus entgehen dem Staat durch Sozialdumping Einnahmen im Millionenbereich. Die KVR-Bußgeldstelle verhängte 2023 beispielsweise gegen einen Anbieter ein Bußgeld in bislang einmaliger Höhe von 425.000 Euro. Bezahlt wurde dieses immer noch nicht.
Der Mindestpreis hätte solche Praktiken nun unterbunden. Uber und Mitbewerber*innen hätten für jede angebotene Fahrt einen Grundpreis von 5,415 Euro sowie einen Kilometerpreis von 2,565 Euro verlangen müssen. Der Mietwagenbranche wären aus Sicht Der Grünen/Rosa Liste/Volt dadurch keine unverhältnismäßig restriktiven Vorgaben gemacht worden. Denn der vorgeschlagene Mindestpreis liegt unter dem Taxitarif und hätte auch dann nicht gegolten, wenn die Fahrt mindestens eine Stunde im Voraus gebucht wird.“
Die Fraktion wertet den heutigen Beschluss als herben Rückschlag, der das Taxi als unverzichtbare Säule des ÖPNV weiter schwächt. Sibylle Stöhr, stellvertretende Fraktionsvorsitzende Die Grünen/Rosa Liste/Volt und Vorsitzende der Taxikommission, meint dazu: „Heute ist ein schlechter Tag für faire Löhne und einen fairen Wettbewerb auf unseren Straßen! In der Mietwagenbranche werden arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften systematisch unterboten. Dieser ruinöse Wettbewerb lässt die Branche insgesamt ausbluten. Es ist höchste Zeit, dass wir das unterbinden! Doch das wurde heute verhindert. Die Vorstellung, mit Uber und Co. faire Löhne verhandeln zu können, ist gelinde gesagt naiv. Der Mindestpreis ist eine Frage der Gerechtigkeit: Menschen, die uns sicher nach Hause, zu einem Arzttermin oder zum Bahnhof fahren, müssen von ihrer Arbeit auch leben können – können sie das nicht, zahlen das langfristig unsere Sozialkassen und somit die Allgemeinheit. Uber und Co. haben in den vergangenen Monaten große Kampagnen gefahren und Kund*innen verunsichert. Offenbar auch den Oberbürgermeister und einige Mitglieder des Stadtrates. Das ist bitter. Wer heute nicht seine Stimme für das Taxi ergreift, dem diktieren morgen Uber und Co. die Preise. Das können wir nicht ernsthaft wollen. Wenn wir die Taxibranche unterstützen wollen, müssen wir jetzt handeln. Für uns ist das heute ,nur‘ eine Abstimmung, die wir nicht gewonnen haben – für die Taxibranche geht es langfristig um ihre Existenz.“
Anmerkung der Redaktion: Wie geht es nun weiter? Die Grünen werden morgen in die Stadtratssitzung ihren Antrag auf MBE ebenfalls nochmal zur Abstimmung stellen. Heute Nachmittag wollen Sie nochmal Gespräche mit ihrem Koalitionsspartner führen. Der Oberbürgermeister hätte ihnen gegenüber argumentiert, dass er während der letzten Tage 60 Mails von Bürgern bekommen hätte, die gerne weiterhin billig Uber fahren wollen, berichtete ein Grünen-Stadrat gegenüber den Demoteilnehmern. „Wir können dafür sorgen, dass Herr Reiter pro Tag mehrere Mails von uns Taxlern bekommt, in dem wir ihm unsere Existenzängste schildern“, meinte ein Taxiunternehmer daraufhin sarkastisch.
Vielleicht haben die mehr als Tausend Taxis, die am Dienstag spontan die Münchner Innenstadt komplett lahmgelegt haben, ja für ein Umdenken gesorgt. Und wenn Herr Reiter persönlich, warum auch immer, weiterhin stur bleibt, könnte er für die morige Abnstimmung wenigstens den Fraktionszwang aufheben. Denn man dürfte wohl kaum annehmen, dass die Mehrheit in der SPD das Wort „Sozial“ im Parteinamen so dermaßen missinterpretiert wie ihr „Uber-Bürgermeister“ Parteichef.
Quelle: Taxi Times
Originalmeldung: https://taxi-times.com/dieter-reiter-sie-werden-von-uns-hoeren/
Autor: Jürgen Hartmann
Beitragsfoto: Szene von der heutigen Taxidemo