Teile und herrsche: Uber und Bolt fragmentieren die Taxibranche
Was wie ein Wettbewerb auf dem Markt aussieht, ist in Wirklichkeit ein langwieriges Spiel der Fragmentierung. Gewinnen werden es die Plattformen. Diese Erkenntnis stammt von Matthew Bezzina (mb), Geschäftsführer des in Malta ansässigen Unternehmens eCabs technologies. Sein Essay zeigt aber auch einen Lösungsansatz.
Mit Genehmigung des Autors wurde der Kommentar von unserer Redaktion nachfolgend ins Deutsche übersetzt. Der Begriff „Fragmenting“ bzw. „fragmented“ („Fragmentierung“ bzw. „fragmentieren“) steht für „Zerteilung“, „Zerstückelung“.
Nach dem Jahrestreffen der European Radio Taxi Association (ERTA) in Amsterdam (Taxi Times berichtete über das Treffen mit mehreren Beiträgen) ist eines schmerzlich klar: Europas Taxi- und Mietwagenbranche ist nach wie vor fragmentiert, und diese Fragmentierung ist kein Zufall. Uber und Bolt sind nicht nur Konkurrenten, sondern Taktiker, die mit der altbewährten Strategie „Teile und herrsche“ ihre Dominanz auf dem Kontinent festigen wollen.
Was beim ERTA-Treffen immer wieder deutlich wurde (wenn auch selten mit Nachdruck thematisiert), ist, dass die größte Bedrohung der Taxibranche nicht nur technologischer Natur ist. Es ist vielmehr die strukturelle Uneinigkeit der Branche, verstärkt durch Generationswechsel, internes Misstrauen und das chronische Fehlen einer koordinierten Strategie.
In einer Stadt nach der anderen nutzen Uber und Bolt regulatorische Unklarheiten, um etablierte Betreiber gegeneinander auszuspielen. Taxis, die an strengere Regeln und traditionelle Servicestandards gebunden sind, müssen zusehen, wie Mietwagenbetreiber durch Plattformanreize und niedrigere regulatorische Kosten angelockt werden. Mietwagenunternehmen wiederum ärgern sich oft darüber, als Feind dargestellt zu werden, während sie versuchen, in einem hart umkämpften Umfeld zu überleben.
Diese Fehlausrichtung – gezielt gefördert durch selektive Partnerschaften, Wettbewerbs-zerstörende Preise und politische Lobbyarbeit – verhindert die Entstehung eines einheitlichen Blocks, der faire Regeln, nachhaltige Margen oder digitale Unabhängigkeit aushandeln kann.
Ein markantes Beispiel für diese Dynamik findet sich in München, wo die Taxi München eG, einst eine der mächtigsten Taxikooperativen Europas, unter internem Druck zerbricht. Wie die Taxi Times berichtete, ringt die Organisation mit existenziellen Fragen zu Ausrichtung, Identität und Zusammenarbeit mit Plattformen (hier der Link zu den entsprechenden Beiträgen).
Während die Betreiber darüber streiten, ob sie das Uber/Bolt-Modell annehmen oder ablehnen sollen, bauen die Plattformen still und leise ihren Einfluss auf Angebot und Nachfrage aus. Das ist „Teile und herrsche“ in Echtzeit, in einer der wohlhabendsten Städte Europas.
Was ist vielleicht der cleverste Teil dieser Strategie? Uber und Bolt konkurrieren nicht mehr nur mit Taxis, sie kooptieren sie (Anm. der Redaktion: gemeint ist damit eine Selbst-Ergänzung in eigener Kompetenz). In fast jeder europäischen Stadt werben sie aktiv um Taxiunternehmen, sich ihren Plattformen anzuschließen, indem sie ihnen Zugang zu zusätzlicher Nachfrage, eine bessere In-App-Positionierung und die Illusion einer Partnerschaft bieten. Diese Taktik ist unterschiedlich erfolgreich. In einigen Märkten schließen sich Taxifahrer in der Hoffnung an, verlorenes Volumen zurückzugewinnen. In anderen sträuben sich Traditionalisten, da sie nicht bereit sind, genau die Plattform zu stärken, die sie zerstört hat. So oder so ist der Effekt derselbe: tiefere Fragmentierung und geringere Verhandlungsmacht.
Hinter der strukturellen Fragmentierung verbirgt sich eine noch gefährlichere kulturelle Fragmentierung. Die wachsende Kluft zwischen jüngeren und älteren Betreibern ist nicht nur eine Frage der Technologiepräferenz; sie prägt das zukünftige politische Klima. Jüngere Fahrer und Flottenbesitzer, die in der App-Wirtschaft aufgewachsen sind, betrachten Uber und Bolt tendenziell als normal, wenn nicht sogar als unverzichtbar. Sie legen Wert auf Flexibilität, Einfachheit und Zugang zur Nachfrage. Die ältere Generation erinnert sich an eine Zeit der Marktkontrolle, regulierten Preise und Markentreue.
Dies ist nicht nur eine operative Kluft, sondern ein Lobbying-Problem. Die jüngere Generation sitzt nicht nur am Steuer – sie erobert auch politische Kreise, Stadträte und Verkehrsministerien. Sie sind Digital Natives und bevorzugen deutlich eher Geschäftsmodelle der letzten 15 Jahre – Modelle, die Uber als Pionier entwickelt hat. Diese Generationenaffinität ist Ubers effektivste Lobbying-Strategie. Und ihre langfristigen Auswirkungen sind bereits sichtbar.
Uber verändert nicht nur den Verkehr. Es verändert das Verhalten. Wie Uber-CEO Dara Khosrowshahi kürzlich einräumte, machen sich in den USA immer weniger Teenager die Mühe, einen Führerschein zu machen. Warum sollte man ein Auto besitzen oder überhaupt Auto fahren können, wenn Mobilität immer nur einen Fingertipp entfernt ist?
Das ist nicht nur eine Disruption. Es ist ein kultureller Wandel, mit regulatorischen Konsequenzen. Denn zukünftige Gesetzgeber und Regulierungsbehörden sind nicht nur Konsumenten von Ride-Hailing-Diensten; sie sind deren Produkte. Wenn der europäische Taxi- und Mietwagensektor (also Mietwagen in ihrer eigentlich regulatorisch vorgesehen Funktion) jetzt nicht handelt, um wieder an Bedeutung zu gewinnen, besteht die Gefahr, dass er durch Gesetze ausgerechnet von der Generation ausgelöscht wird, die er nicht beeinflussen konnte.
Während lokale Betreiber debattieren und sich fragmentieren, geschieht auf Eigentümerebene etwas Größeres. Free Now, einst Europas vielversprechendster einheimischer Mitfahrdienstanbieter, gehört nun dem US-amerikanischen Technologieriesen Lyft. Was als koordinierte europäische Alternative hätte dienen können, ist stattdessen zu einem weiteren Instrument für die Expansion amerikanischer Plattformen geworden. Das gleiche Muster zeigt sich auch anderswo: Uber hat Dantaxi, Dänemarks größtes Taxiunternehmen, übernommen, während Bolt Viggo, ein dänisches Start-up für umweltfreundliche Taxis, aufgekauft hat – seine erste Akquisition überhaupt.
Diese Schritte sind nicht nur Markteintritte, sondern Machtkonsolidierungen, die lokale Flotten absorbieren und potenziellen Widerstand von innen neutralisieren. Es geht nicht um Stimmungen. Es geht um Kontrolle: über Daten, Nutzer, Margen und politischen Einfluss. Die Fragmentierung unter den Betreibern schafft ein Vakuum, und die Plattformen verlieren keine Zeit, es zu füllen. Und all dies geschieht in einem Markt, der jährlich um 10 bis 15 Prozent wächst. Lassen Sie das mal sacken.
Und doch ist nicht alles verloren. Das ERTA-Treffen deckte nicht nur Schwachstellen auf. Es offenbarte auch verborgene Stärken: operatives Know-how, vertrauenswürdige Netzwerke, lokales Wissen. Das sind keine Relikte, sondern ein Hebel. Die Herausforderung besteht nun darin, die Fragmentierung in eine Föderation umzuwandeln. Das erfordert koordinierte Lobbyarbeit. Eine gemeinsame digitale Infrastruktur. Und vor allem eine einheitliche Stimme über Generationen, Regionen und Geschäftsmodelle hinweg.
München ist eine Warnung, keine ausgemachte Sache. Europas Taxiunternehmer müssen Uber und Bolt nicht nachahmen, sie müssen sie ausmanövrieren. Mit kollektiver Klarheit, politischer Strategie und einem modernen Produktangebot kann die etablierte Branche wettbewerbsfähig bleiben und gewinnen. Die Branche wächst. Die Uhr tickt. Und das nächste Kapitel der urbanen Mobilität steht kurz bevor.
Die Frage ist nur: Wer behält das Sagen?“ mb
Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag ist Anfang Juni als Blog auf der eCabs-Website erschienen. Zum englischen Originaltext kommen Sie unter diesem Link.
Quelle: Taxi Times
Originalmeldung: https://taxi-times.com/teile-und-herrsche-uber-und-bolt-fragmentieren-die-taxibranche/
Autor: Redaktion
Beitragsfoto: eCabs